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Gedichte
episode
im düstern kesselhaus im licht
rußiger lampen plötzlich auf dem brikettberg
saß ein grüner fasan
ein prächtiger clown
silbern und grün den leuchtend roten reif am hals mit
unverwandtem aug mit dem großen gelben schnabel aufmerksam
zielte er auf mich
so war er herrlicher und schöner
als ein surrealistischer regenschirm auf einer nähmaschine
wie er dort saß genau und furchtlos verirrt
auf seinem schwarzen gipfel
konversation fand nicht statt
ich bewegte mich und er flog davon durch die offene tür
doch von weit her den geruch der sonne den duft
seines farbigen gelächters ließ er hier in der nacht
und ich verwarf alle mühe das leben mythisch zu sehen
und als das kausale grinsen meines kopfes
von energie und frost gefressen in die nacht verschwand
glaubte ich nicht mehr an den untergang
der wahrnehmungen in der finsternis.
Wolfgang Hilbig: Werke, Bd. 1, 2008, S. 79
Wolfgang Hilbig: Werke, Bd. 1, 2008, S. 35
Interview
Im Sommer 2021 erscheint "Wolfgang Hilbig: Essays, Reden, Interviews", der Abschlussband der Werkausgabe - darin dieses bislang unveröffentlichte Interview von Karl Corino mit Wolfgang Hilbig aus dem Jahr 1984. Wir danken dem S. Fischer Verlag, der S. Fischer Stiftung und Karl Corino für die freundliche Genehmigung des Vorabdruckes:
Alte Abdeckerei
Ich besann mich auf ein Flüßchen hinter der Stadt, ein seltsam schimmerndes, an manchen Tagen fast milchfarbenes Gewässer, das ich kilometerweit verfolgt habe, einen Herbst lang oder noch länger, vielleicht nur, um einmal hinauszukommen aus einem Territorium, das, wenn ich es endgültig sagen soll, von den Grenzen meiner Müdigkeit eingeschlossen war. Und ich folgte diesem Weg wie unter lautlosem Flügelschlagen; wenn es dunkel wurde, begann ich mit einem Schrecken zu rechnen, vielleicht mit einem markerschütternden Schrei, nach welchem Stille eintritt? … nichts dergleichen, die Ruhe hinter Stadt und Wald war das stete Dasein winziger Geräusche. Äcker, Wiesen, Brachflächen, wie sie von beiden Seiten heranschwollen im Dunst der immer trüberen Tage, schienen das Flüßchen über manche Strecken zu einem bloßen Rinnsal zu drosseln; oft glich es der bläulichen Klinge eines langen geraden Messers, das durch entzweigeschnittenes Gelände fuhr, man meinte die langgezogene Wunde noch dampfen zu sehen.
Die Kunde von den Bäumen
Was weiß ich schon noch, sagte Waller, von den Wirren, die über mich kamen, als ich versuchte, meine ersten Geschichten zu verfassen. Hier stocke ich sofort: damals hätte ich es nicht gewagt, mich so auszudrücken! Dieses Verfassen von Geschichten bestand in der andauernden Übung, Wörter durchzustreichen, die ohne mein Zutun aufs Papier geraten waren. In einer Art Tollheit, schien es, hatte ich sie hingesetzt – und ich fand ganze Zeilen, ganze Abschnitte voller Wörter, die nur auf solche Art entstanden sein konnten: nur das Gezweig der Verbindungswörter konnte ich akzeptieren –, und plötzlich war es, als habe wer, ein anderer als ich, das Licht einer Lampe darauf gerichtet: wenn ich sie überhaupt noch lesen konnte, meine Wörter, dann waren sie das erdenklich Falscheste an Ausdruck für das, was ich eigentlich benannt haben wollte.
Das Provisorium
In Nürnberg, in der zwiespältigen Beleuchtung einer Boutique, war ihm plötzlich etwas geschehen: als er die flach gestreckten Stufen zum Souterrain hinunterstieg, um eine enger werdende Windung der Treppe, die eine Art Wendeltreppe war, unhörbar auf dem Teppich und mit unrhythmischem Schritt, da die Stufen ungleich lang und irritierend waren, hatte er sich auf einmal von hinten angegriffen gefühlt. Ein matter Schatten überholte ihn, er ahnte einen gegen sich erhobenen Arm, bewaffnet oder nicht, und gedankenschnell wirbelte er auf den Absätzen herum. Im nächsten Moment war er erstaunt, wie prachtvoll seine Instinkte noch funktionierten. Automatisch flog ihm die Linke aus der Hüfte, übercrosste den drohend erhobenen Arm und knallte trocken auf einen Kinnwinkel, den er noch gar nicht recht im Auge gehabt hatte.